Die Kosmonautin – Jo Lendle

27. Mai 2011 § Hinterlasse einen Kommentar

So, nachdem ich für meine letzten beiden rezensierten Bücher nur den Daumen runter von euch bekommen habe (ich kann euch ja verstehen, das war etwas zuviel auf einmal 😉 ), hier jetzt endlich mal ein Buch ohne Schmalz, ohne doofe Klischees und ohne abgeschmackte Afrika-Romantik. Versprochen.

Wir begeben uns zusammen mit Hella auf eine Reise Richtung Osten. Man weiß zunächst nicht, wohin und wieso – bis Hella schließlich auf einem Weltraumbahnhof irgendwo in der ex-sowjetischen Steppe ankommt. Und so nach und nach wird auch klar, was sie dort vorhat: Sie wird zum Mond fliegen, anstelle ihres Sohnes. Der hatte eigentlich diese außergewöhnliche Reise gewonnen, doch es ist Hella, die sein Erbe antritt – im wahrsten Sinne des Wortes: Hellas Sohn ist bei einem Unfall ums Leben gekommen, und sie nimmt seinen Platz in der Raumfähre ein.

Dieses Buch ist ein sehr ruhiges. Hella lässt sich eher treiben als dass sie aktiv handelt. Sie bekommt bei ihrer Ankunft auf der Station einen Plan, den sie weitgehend befolgt. Von den Vorbereitungen an sich erfährt man nicht allzu viel, das Buch behandelt eher das Drumherum: Spaziergänge in der Umgebung. Das Betrachten der Sterne nachts. Ein Besuch in der Banja mit der Köchin. Die gemeinsamen Mahlzeiten im Speisesaal. Man hat so das Gefühl, als sei anstehende Reise eher Nebensache, als sei das eigentlich Wichtige eher woanders zu suchen. Ob Hella wirklich ins All will, ob sie diese Herausforderung aus eigener Motivation annimmt – eher nicht. Selbst als es ernst wird und sie die Rakete besteigt, die sie zum Mond bringen soll, wird das fast beiläufig erzählt.

Dieses Buch hat seine Stärke also weniger in der ausgeklügelten Handlung oder in einem großen Spannungsbogen. Viel eher hat man mit „Die Kosmonautin“ eine tolle, sprachlich sehr gelungene Geschichte vor sich, die man genießen sollte. Will sagen: Viel Zeit lassen zum Lesen, am besten immer nur in einer ruhigen Minute zur Hand nehmen, um diese vielen schönen Sätze wirken zu lassen. Hier zwei der vielen Passagen, die mir besonders gefallen haben:

[E]s war eine rote Rakete, die sie bekam, und Hella wunderte sich, warum ihr das niemand gesagt hatte. Sie war auf technische Merkmale vorbereitet worden, […], und erst jetzt fiel ihr auf, daß von so Grundsätzlichem wie einer Farbe nie die Rede gewesen war. Wer immer sie ausgewählt hatte, Hella hätte ihm gerne gedankt.“

Oder:

„Er habe einen Ruhepuls von sechzig, rief er ihr zu, er könne einfach zweihundertvierzig Schläge zählen für ein Vier-Minuten-Ei. […] Adam schlug das Ei auf, doch sein Herz hatte zu schnell geschlagen, das Innere war kaum fest geworden.“

Adam ist der Mann, den Hella auf der Station kennenlernt, und mit dem sie ihre letzte Nacht vor der Reise gemeinsam verbringt. Er ist auch schließlich mit ihr in der Rakete, was sie wundert, weil ihr das nie jemand vorher gesagt hatte und sie sich schon voneinander verabschiedet hatten. Aber vielleicht ist er ja auch nur in Gedanken bei ihr? Und vielleicht ist die ganze Reise sowieso nur eine Metapher für irgendetwas anderes? Reisen können ja für alles Mögliche stehen, Neuanfänge, Veränderungen, Fluchten, Tapetenwechsel… Was es für Hella ist, das bleibt schön in der Schwebe – frei für eigene Interpretationen.

Ich wollte eigentlich nur eine ausdrückliche Kaufempfehlung geben. Aber jetzt empfehle ich euch etwas anderes: Besorgt euch dieses Buch und lest es eurer/eurem Liebsten vor. Man sollte einander sowieso mehr vorlesen, und das hier wäre genau der richtige Anfang.

ISBN: 3442740150
189 Seiten
btb Verlag
€8,50
 

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