Warum Tee im Flugzeug nicht schmeckt und Wolken nicht vom Himmel fallen – Brian Clegg
30. November 2012 § Ein Kommentar
Flugreisen sind ja manchmal ganz schön öde. Spätestens nach dem zweiten Mal ist die Aufregung verflogen* und man schaut nicht mal mehr auf, wenn bei den Sicherheitshinweisen um Aufmerksamkeit gebeten wird. Doch eigentlich kann Fliegen ganz schön spannend sein, denn immerhin geht es hier um angewandte Wissenschaft: Wie kann dieses tonnenschwere Flugzeug überhaupt fliegen? Was können wir alles aus dem Flugzeugfenster beobachten? Was geht mit dem Körper vor, wenn wir Langstreckenflüge unternehmen? Kann ein Jetlag tatsächlich eine politische Krise auslösen? Und was hat das jetzt mit dem schlecht schmeckenden Tee auf sich?
Es ist tatsächlich ein rechtes Sammelsurium, das Clegg hier zusammengetragen hat. Er vermischt munter Physik, Geologie, Astronomie und einiges mehr – dabei herausgekommen ist ein unterhaltsames Buch, bei dem sicherlich noch jede etwas lernen kann. Es gibt sogar Experimente, mit denen man das eben Gelesene überprüfen kann. Dieses Buch ist ein schönes Beispiel dafür, dass sogar ein bisschen wissenschaftliche Kenntnis ausreichen kann, um viele Phänomene des Alltags – denn dazu gehört das Fliegen ja mittlerweile für viele Menschen – zumindest ansatzweise zu verstehen und vielleicht sogar die Neugier zu wecken, sich in die ein oder andere Richtung weiterzubilden.
Ich kann mir vorstellen, dass dieses Buch auch ein schönes Geschenk ist – für alle eure vielfliegenden, wissenschaftsinteressierten Lieben. Oder für euch selbst.
* An dieser Stelle fünf Euro in die Wortspielkasse.
ISBN: 978-3446430105 240 Seiten Originaltitel: Inflight Science: A Guide to the World from your Airplane Window Carl Hanser Verlag €14,90Crossing the Line – William Finnegan
29. November 2012 § Hinterlasse einen Kommentar
Dieses Buch hat mal wieder eine Geschichte – daher also erstmal kurzes Vorgeplänkel, ehe es zur eigentlich Rezension kommt.
Ich googelte mal vor einiger Zeit die Schule, auf der ich in Südafrika war – einfach um mal zu schauen, ob’s da was Neues gibt. Dazu habe ich nichts gefunden, dafür aber ein paar Seiten aus diesem Buch hier via Google Books. Ich, aufmerksam geworden, lese ein bisschen weiter und finde heraus, dass genannter Autor Anfang der 1980er Jahre während einer Weltreise auch ein Schuljahr an einer südafrikanischen Schule für „Coloureds“ unterrichtet hatte – eben der Grassy Park High School, auf die ich auch gegangen bin. Damit war klar, dass ich dieses Buch lesen muss. Wie das so ist: Lesezeichen gesetzt und erstmal wieder vergessen. Jetzt aus den Archiven geholt und über weite Stellen verschlungen.
Finnegan ist eigentlich, wie gesagt, nur auf Weltreise und landet in Südafrika, damals noch mitten in der Apartheid. Da ihm das nötige Kleingeld fehlt und Lehrer immer knapp sind, verdingt er sich kurzerhand als Lehrer an einer High School für „Coloureds“, also für diejenigen Schüler, die auf der strikten Apartheids-Skala zwischen Schwarzen und Weißen stehen. Es fehlt nahezu an allem, die Lehrpläne sind hoffnungslos ohne Niveau und darüber hinaus hat Finnegan erst einmal gar keine gültige Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, aber trotzdem stürzt er sich recht idealistisch in seine neue Aufgabe.
Er wird Zeuge der ganz alltäglichen Schikanen, denen alle Nicht-Weißen damals in Südafrika ausgesetzt waren und bemerkt auch die zunehmende Politisierung und Radikalisierung seiner Schüler, die dann im Laufe des Schuljahres in einen weitreichenden Boykott gegen das Regime mündete. Das alles beschreibt er anschaulich mit sehr genauer Beobachtungsgabe, das Lesen ist sehr spannend – vor allem natürlich (aber nicht nur), wenn man sich vor dem inneren Auge alles zumindest so grob vorstellen kann. Einige der Eigenarten und Verhaltensweisen haben sich offensichtlich über diese gut 20 Jahre hinübergerettet, denn bekannt war mir doch das eine oder andere.
Namen usw. wurden aus Sicherheitsgründen offenbar geändert und grundsätzlich ist es natürlich möglich, dass das Ganze an einer anderen Schule in Kapstadt oder irgendwo anders im Land stattgefunden hat – es ist eine wahnsinnig interessante Erzählung aus einem ziemlich absurden Land, die exemplarisch für die frühen 1980er Jahre stehen kann.
Spannend fand ich die persönliche Entwicklung, die Finnegan auch durchaus selbstkritisch beschreibt. Er geht zunächst ein wenig wie der gute Weiße Mann an die Sache ran: Zwar mit großem Interesse an den Südafrikanern, aber doch mit einer gewissen Überzeugung, dass er als Amerikaner einen besseren Unterricht machen kann und seinen Schülern noch wirklich etwas beibringen kann. Man merkt, wie dieser Idealismus im Laufe des Schuljahres schwindet, dass Finnegan jedoch immer großen Respekt und eine große Verbundenheit zu diesem speziellen Teil Südafrikas verspürt. Letztlich ist es allerdings immer klar, dass er als Weißer, noch dazu als Ausländer, nie wirklich wissen kann, wie es ist, als „Coloured“ während der Apartheid zu leben – alle alltäglichen Schikanen treffen ihn eben nie wirklich, und zum Feierabend fährt er wieder zurück in sein weißes, alternatives Studentenviertel. Das meint er mit „Crossing the Line“ – es ist immer eine Linie da, die er täglich überquert und die für seine Schüler und Kollegen aus Grassy Park eine tatsächliche Grenze darstellt.
ISBN: 978-0-89255-325-9 426 Seiten keine deutsche Übersetzung bekannt Persea Books €16,99Der Archipel Gulag (Bd. 1) – Alexander Solschenizyn
18. Juli 2012 § 3 Kommentare
Diesen Klassiker wollte ich schon seit langem lesen – es war mir ja nicht so recht bewusst, dass er tatsächlich aus drei Bänden à ca. 500-600 Seiten besteht. Insofern werde ich mich da wohl eher langsam vorarbeiten und dann den letzten Band in ca. zwei Jahren rezensieren. 😉
Das Ganze ist – so unglaublich es einem beim Lesen vorkommen mag – tatsächlich nicht erfunden. Alles ist Solschenizyn selbst oder seine Mithäftlingen widerfahren. Der Autor selbst verbrachte unter Stalin viele Jahre im Gulag und in der anschließenden Verbannung; in diesem ersten Band geht es aber in erster Linie um Vorgeschichte und Rahmenbedingungen eines typischen Lagerlebens: Die Verhaftung, die Untersuchungs- bzw. Durchgangshaft, den Transport in die Lager, die entsprechenden Paragraphen und Vergehen, aufgrund derer man verhaftet wurde, die Prozesse (so es denn welche gab) usw. Das alles ist wahnsinnig heftig – Menschen wurden wegen nichtigster „Vergehen“ zu zehn Jahren Lager oder mehr verurteilt, keiner konnte sich sicher sein, dass es ihn nicht auch treffen würde und die Verhaftungen beschränkten sich beileibe nicht auf die Jahre 1937/38, die man heute mit dem „Großen Terror“ in Verbindung bringt. Dass die Haft- und Transportbedingungen oft genug menschenunwürdig sind, muss ich nicht dazu sagen.
So schwer verdaulich diese Schicksale auch sein mögen, das Buch ist sehr gut geschrieben. Solschenizyn beherrscht sein Handwerk auf jeden Fall, er schafft es, den Leser trotz des Detailreichtums nicht zu langweilen (wobei man natürlich bei der Thematik ein gewisses Durchhaltevermögen braucht) und bringt immer wieder Spitzen gegen das herrschende System oder den Genossen Stalin mit ein. Mutig, wenn man bedenkt, dass er alles in den 1970ern geschrieben hat, als das durchaus noch gefährlich werden konnte. Solschenizyn beschreibt nicht nur Tatsachen, er analysiert und reflektiert, was passiert ist und stellt es in den größeren Zusammenhang der damaligen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Wir haben hier eben nicht nur einen Erfahrungsbericht vor uns, sondern eine umfassende Analyse des sowjetischen Terrorregimes. Darin besteht meines Erachtens nach auch heute noch, lange nach dem Untergang der Sowjetunion, der Reiz und der Gewinn, dieses Buch zu lesen.
ISBN: 978-3596184248 592 Seiten Originaltitel: Archipelag GULAG Fischer Taschenbuch €9,95