Der Wald ist Schweigen – Gisa Klönne
26. April 2015 § 2 Kommentare
Tatort Bergisches Land – die Försterin Diana Westermann findet auf einem Hochsitz in ihrem Revier eine schwer identifizierbare Männerleiche. Judith Krieger und ihre Kollegen der Kripo Köln beginnen mit den Ermittlungen, bei denen sie schnell das Gefühl haben, dass alle Befragten nicht wirklich mit der ganzen Wahrheit rausrücken: Die Försterin selbst, die Ehefrau des Toten, die Yogis im nahegelegenen Ashram… Was also ist da los?
Diana Westermann hat das Revier gerade neu übernommen, sie bekommt Drohanrufe, Falschmeldungen über Wildunfälle mitten in der Nacht, ihr Hund verschwindet kurzzeitig. Sie versucht die Vorfälle damit abzutun, dass ihre Kollegen ihr, der jungen gutaussehenden Frau, das Revier nicht gönnen. Oder steckt da mehr dahinter und hängen die Vorfälle irgendwie mit dem Mord zusammen?
Juliane Wengert, die Ehefrau des Toten, gerät schnell in Verdacht, nicht zuletzt durch ihr kühles und distanziertes Verhalten bei den Befragungen der Kripo: Ihr Mann, ein Lehrer, hatte eine Affäre mit einer Schülerin. Die schien zwar beendet zu worden sein, aber könnte es nicht sein, dass die betrogene Ehefrau doch aus Eifersucht gehandelt hat?
Und dann gibt es noch den erwähnten Ashram – dort laufen einige undurchsichtige Gestalten herum, die nur auf den ersten Blick yogamäßig nett und entspannt sind. Was hat es mit Laura auf sich, der jungen Frau, und mit ihrem Geliebten? Was verschweigen die Leiter der Einrichtung? Und wo steckt Darshan, eine junge Lebenskünstlerin, die einige Monate vorher kurz auf dem Weg nach Indien hier Station gemacht hatte, aber nie in Asien ankam?
Ich hatte ja schon angekündigt, die Reihe rund um Judith Krieger mal ganz von Anfang zu lesen, und damit scheine ich absolut richtig gelegen zu haben. Mir hat auch diese Geschichte rundum gut gefallen. Ich fand es toll, dass es hier vor allem die vielschichtigen Frauenfiguren sind, die die Handlung tragen. Vor allem Judith Krieger finde ich sympathisch und interessant, ich freue mich auf die nächsten Fälle, in denen sie ermittelt (denn ja, die werde ich auch lesen). Die einzelnen Erzählstränge sind gut und stimmig miteinander verknüpft, ohne dass es aufgesetzt oder gezwungen wirkt.
Außerdem fand ich die Story interessant, vor allem, da hier so eine nette falsche Fährte eingebaut war. Okay, man könnte die schon etwas früher als auf den letzten Seiten erahnen. Ich hatte eher so ein Bauchgefühl, war mir aber dann doch nicht so sicher – am Schluss wurde mein Gefühl bestätigt. Dafür, dass ich sonst so eine schlechte Mitraterin bin, verbuche ich das mal als kleinen Erfolg.
Also ja, ich hab rein gar nichts zu meckern. Große Empfehlung!
Corpus Delicti – Juli Zeh
15. März 2015 § 4 Kommentare
Nachdem ich von meiner ersten Zeh-Lektüre so begeistert war, habe ich mich jetzt an einen ihrer aktuelleren und vielgelobten Romane gemacht. Und ich konnte mir schon im Vorfeld denken, warum „Corpus Delicti“ so gut ankam: Es scheint einen Nerv zu treffen. Thema ist die zunehmende Fokussierung auf den (gesunden) Körper, die Rhetorik der Eigenverantwortung bei gleichzeitiger Abwälzung gesamtgesellschaftlicher Belastungen auf den Einzelnen: Wenn du nicht auf dich selbst achtest, dich nicht gesund ernährst, übergewichtig bist und zu wenig Sport treibst, kostet du die Gesellschaft (zu) viel Geld.
Zeh hat sich dafür in eine dystopische Zukunft begeben, wo diese Haltung zur Staatsräson geworden ist: Alle Menschen sind gesund und glücklich, die allermeisten von ihnen haben noch nie Schmerzen gespürt, es gibt keine Krankheiten mehr. Das klingt jetzt auf Anhieb gar nicht mal so schlecht. Dafür muss sich allerdings jeder Bürger und jede Bürgerin einem engmaschigen Überwachungsregime unterwerfen: Der Staat gibt Fitnessprogramm und Urintests vor und verwarnt bei Lässigkeit. Partnerschaften werden über Portale geknüpft, die eine möglichst große Passgenauigkeit der jeweiligen Immunsysteme berechnen (OkCupid weitergedacht, wenn man so will) und „die Methode“ zur Gesunderhaltung hat die Stelle der Religionen eingenommen.
Mia Holl scheint in dieses System nicht recht zu passen: Sie lässt sich nicht einlullen, sie ist Naturwissenschaftlerin und kann ihr entsprechend geschultes Denken nicht an der Labortüre abgeben. Doch sie muss einen Schicksalsschlag verkraften, was ihr zunehmend schwer fällt: Ihr Bruder Moritz hat sich im Gefängnis das Leben genommen, er war beschuldigt worden, eine Frau vergewaltigt und getötet zu haben. Mia glaubt fest an die Unschuld ihres Bruders und gerät in ihrer Trauer, ohne es wirklich zu wollen, immer stärker in Opposition zur Methode, die in schöner totalitaristischer Tradition selbstverständlich keinerlei Abweichung duldet und Mia mit zunehmender Härte auf Linie zu zwingen versucht.
Es hat zugegebenermaßen etwas gedauert, ehe ich mit dieser Geschichte warm wurde. Mir waren die Dialoge anfangs zu gestelzt, zu plakativ. Aber dann machte es irgendwann „klick“ und ich bin dahintergestiegen, wie diese Geschichte funktioniert. Auf einmal zeigten sich immer mehr Parallelen zu aktuellen Entwicklungen: Einzelne Aussagen oder Meinungen, die schon heute in dieser Form getätigt werden und die hier nur noch zugespitzt und konsequent zu Ende gedacht sind. Dazu gehört wohl, die Charaktere weniger als vollständige Persönlichkeiten, sondern eher als Rollen anzulegen, die eine bestimmte Funktion im Stück einnehmen.
Ich glaube, Zeh ging es gar nicht darum, die Protagonisten besonders lebensnah darzustellen; jedenfalls habe ich die Geschichte nicht so gelesen. Es erschien mir eher als Parabel, als Möglichkeit, als Weiterdenken. Und dann funktioniert dieses Buch auch. Ich würde es – wie die meisten Dystopien – als Warnung lesen und als Handlungsaufforderung: Seid kritisch und reflektiert, was man euch erzählen will. Macht euch euren eigenen Kopf. Und lest dieses Buch.
Sand – Wolfgang Herrndorf
2. März 2015 § 4 Kommentare
Erster Impuls nach dem Lesen des letzten Satzes: So, und jetzt noch mal von vorne anfangen, um dieses Mal alle Querverweise, Protagonisten und Schauplätze klarzukriegen. Da ich das aber nie mache, muss ich wohl auf den Re-Read in ein paar Jahren hoffen. Und in der Zwischenzeit tue ich gar nicht so, als hätte ich dieses Buch WIRKLICH verstanden.
Aber ich versuche mich trotzdem mal an einer Handlungszusammenfassung. Wir befinden uns in den 1970er Jahren irgendwo in Nordafrika, das Setting involviert viel Wüste – klar, der titelgebende Sand. Wahrscheinlich ist da noch eine Metaebene drin. Jedenfalls gibt es so viele (kleine) parallelen Handlungsstränge, dass ich mal eher eine stichwortartige Zusammenfassung versuche. Es gibt einen verwirrten Mann, der sich weder an seinen Namen noch an irgendein anderes Detail aus einem Leben erinnert. Durch unangenehme Begegnungen weiß er nur, dass einige äußerst brutale Männer hinter ihm her sind – oder viel eher hinter etwas, der er hat oder hatte oder haben könnte. Und dann ist da noch die schöne Helen (nomen est omen oder was?), die sich um den Namenlosen kümmert. Helen behauptet, eine Kosmetikvertreterin zu sein, der dummerweise ihr Musterkoffer auf der Anreise verschütt gegangen sei und die deswegen keinen Beweis für ihre Tätigkeit vorweisen könne. Nun müsse sie auf Ersatz warten, und das dauere. Nur ist Helen überraschenderweise versiert in Nahkampftechniken und sonstigen Praktiken, die Kosmetikverkäuferinnen in der Regel nicht beherrschen. Außerdem gibt es noch eine Wüstenkommune voller Aussteiger, in der vor Kurzem ein Mord passiert ist, ein paar mehr oder wenige fähige Polizisten, einige Tötungsdelikte in der Wüste und immer wieder verschiedene Leute, die irgendetwas von dem Namenlosen wissen wollen – wie alles zusammenhängt, erschloss sich mir erst zum Schluss, weswegen ich über weite Strecken recht planlos war.
Ich fürchte, ich habe dieses Buch wohl einfach unterschätzt. Jedenfalls las ich so fröhlich vor mich hin und habe es auch tatsächlich genossen, aber wohl wirklich nur die Hälfte aller Verweise und Anspielungen zu deuten gewusst. Vielleicht ist mir da wirklich eine fundamentale Deutungsebene entgangen? Gegen Ende fiel zwar das ein oder andere Puzzleteilchen auf seinen Platz und ich begann, die Zusammenhänge zu verstehen, aber den 100%igen Durchblick hatte ich bis zuletzt nicht.
Ich sags mal so: Grundsätzlich ist es ein Qualitätsmerkmal, wenn eine Geschichte vielschichtig und mit Querverweisen, Anspielungen und doppelten Böden konstruiert ist, so dass sie der Leserin auch etwas abverlangt. Also: Lest und entscheidet selbst!
Der Insider – Michael Robotham
31. Januar 2015 § Hinterlasse einen Kommentar
Der Ex-Polizist Vincent Ruiz wird in London von einer junger Frau namens Holly ausgeraubt. Als er sie suchen und seine Wertsachen zurückfordern will, findet er in ihrer Wohnung nur ihren toten Freund vor, der offenbar erst misshandelt und dann ermordet wurde. Holly entwischt ihm knapp, als sie in Panik vor ihm flieht. Ruiz wird klar, dass es hier um mehr geht als nur einen simplen Diebstahl.
Zur gleichen Zeit in Bagdad: Journalist Luca ist im Irak einer Serie von Banküberfällen auf der Spur. Dabei bemerkt er Unregelmäßigkeiten bei der Zuweisung von Hilfsgeldern – werden diese möglicherweise veruntreut? Gemeinsam mit der UN-Buchprüferin Daniela will er dem Ganzen auf die Spur zu kommen und bekommt bald zu spüren, dass nicht alle mit ihren Nachforschungen einverstanden sind.
Wieder in London: Der Mann von Elizabeth North ist seit einigen Tagen verschwunden. Richard North war Banker, er schien in den Wochen vor seinem Verschwinden verändert, abwesend, traurig. Elizabeth war so beunruhigt, dass sie sogar einen Privatdetektiv auf ihren Ehemann angesetzt hat. Dieser hatte in der Tat einiges an Ungereimtheiten entdeckt: Wie von Elizabeth befürchtet, hatte Richard offenbar eine Geliebte. Aber es scheint noch mehr im Argen gelegen haben: Er hat sich auch in der Bank auffällig verhalten, hat Andeutungen gemacht und redete von einem „großen Fehler“, den er angeblich gemacht hatte.
Es wird recht schnell klar, dass diese drei Fälle zusammenhängen und man ahnt bereits recht früh, wo die Berührungspunkte sein könnten. Einzig ein weiterer Nebenplot um eine Gruppe Terroristen, die einen Anschlag in London planen, schien nicht so recht dazu zu passen.
„Der Insider“ ist eine solide Story, nicht extrem, aber ausreichend spannend und relativ vorhersehbar. Eine nette Lektüre für zwischendurch.
Jetzt ich noch: Mein Lesejahr 2014
31. Dezember 2014 § Hinterlasse einen Kommentar
Die letzten Tage eines Jahres bieten ja allerlei Gelegenheit zur fleißigen Selbstbespiegelung und Nabelschau. Wir Literaturblogger erstellen dann unsere Top 5, lassen das Lesejahr nochmal Revue passieren und befinden in der Regel, dass es doch alles in allem ziemlich gut war, was wir so gelesen haben (An dieser Stelle erstarre ich immer in Ehrfurcht, wenn Bloggerkollegen von ihren erfolgreichen Challenges, Themenprojekten und Lebenswerk-Leserunden berichten. Zusätzlich zu der „normalen“ Lektüre nebenher. Chapeau!).
Und dieses Jahr bei mir? Tja. Die Goodreads-Statistik zeigt, was mein Gefühl mir schon vorher sagte. Mein Jahr 2014 war zwar, ganz allgemein gesehen, gar nicht mal so schlecht. Lesetechnisch wars aber erstaunlich mau. Allgemein kam ich schon weniger zum Lesen (viel anderen Kram zu tun und keinen wirklichen Urlaub gehabt…), und es waren sehr, sehr wenige Highlights dabei. Erstaunlich häufig waren die Bücher eher mittelmäßig – von richtigen Fehlgriffen wie der Bücherdiebin reden wir hier noch gar nicht.
Was lerne ich daraus? Ein reines „Mehr“ möchte ich mir gar nicht wirklich vornehmen. Zum einen kann ich noch gar nicht abschätzen, was die (immer noch) neue Stadt, der kommende Job und das Leben allgemein für mich bereithalten und was ich an Lesezeit abknapsen kann. Im kommenden Jahr möchte ich vor allem wieder gezielter lesen. Nur solche Bücher ins Regel stellen, die mich wirklich interessieren, von denen ich mir auch etwas verspreche. Und sei es nur gute Unterhaltung. Ich werde wahrscheinlich noch mal meinen SUB bereinigen. Vor meinem Umzug im Herbst habe ich zwar schon einige der ganz üblen Leichen weggegeben, aber immer noch steht da eigentlich zu viel rum, was ich wahrscheinlich nie lesen werde. Da sehe ich irgendwie noch die Möglichkeiten, überrascht zu werden oder neue Lieblingsautoren zu entdecken. Aber mal ehrlich: Oft genug lief es in diesem Jahr auf „Geht so“-Lektüren hinaus, gerade bei Büchern dieser Art. Ich sehe es da einfach mal als Zeichen, dass meine neue Hood einen öffentlichen Bücherschrank hat. 😉
Und ein weiteres Fazit? Einfach mal wieder länger Urlaub machen. DAS wünsche ich mir sowieso schon. Mal sehen, was 2015 mir in dieser Hinsicht bringt. 🙂
Die Korrekturen – Jonathan Franzen
30. Dezember 2014 § 7 Kommentare
Das Statement, das ich am häufigsten gehört habe, während ich „Die Korrekturen“ gelesen habe? „Ach ja, das hab ich auch mal angefangen. Bin aber nicht weit gekommen, ich fands zu langatmig/langweilig/doof!“. Haha, ja, an dem Punkt war ich auch einige Male. Wenn die Protagonisten mal wieder überhaupt nicht klarkamen und sich ad nauseam mit irgendwelchen Scheißproblemen (durchaus auch mal im Wortsinne) beschäftigt haben. Und dann habe ich mich doch weiter durchgebissen (warum auch immer) und habe dann ein paar Seiten später wieder herzhaft gelacht und das Lesen genossen. Und ich bin immer noch nicht wirklich dahintergestiegen, was genau an diesem Buch diese etwas extremen Reaktionen in mir ausgelöst hat.
Bei den „Korrekturen“ geht es um Familie Lambert aus dem Mittleren Westen der USA. Enid und Alfred haben drei erwachsene Kinder, Gary, Chip und Denise, und genug eigene Probleme: Alfred ist auf dem Weg in die Demenz und zusätzlich durch Parkinson und weitere Gebrechen gehandicapt. Enid ist eigentlich die Optimistische und Unternehmenslustigere, sie ordnet sich aber dem zunehmend starrsinnigen Alfred unter.
Und auch bei den Kindern täuscht die Fassade gewaltig: Gary ist zwar beruflich erfolgreich, hat eine schöne Frau und drei gesunde Kinder, schrammt aber regelmäßig knapp an einer Depression vorbei. Chip, der Mittlere, arbeitet mitnichten beim „Wall Street Journal“, wie Enid gerne erzählt, sondern bei irgendeinem drittklassigen Käseblatt, das halt nur einen ähnlichen Namen hat. Das aber erst, nachdem er wegen einer Affäre mit einer Studentin seinen vielversprechenden Dozentenjob an einer Uni verloren hatte. Und zum Schluss landet er in Litauen, wo er einem (Ex-)Politiker bei, ich sag mal, dubiosen „Internet-Aktivitäten“ behilflich ist. Und Denise, die Starköchin? Sie ist tatsächlich gefeiert in ihrem Job, hatte einen Kollegen geheiratet und mit ihm gemeinsam ein Restaurant geführt. Dann kam die Scheidung und ein neuer Job, bei dem sie jedoch gefeuert wurde, weil sie mit der Frau ihres Chefs eine Affäre angefangen hat.
Und in diesem ganzen Durcheinander will Enid eigentlich nur noch eines: Ein letztes Mal Weihnachten feiern, gemeinsam mit der ganzen Familie, mit Kindern und Enkeln.
Ja, also, wie gesagt. Dieses Buch hat in mir sehr zwiespältige Gefühle ausgelöst. Ich gebe zu: Am Schluss wars erst einmal die Freude, es endlich geschafft zu haben. Doch irgendwie bin ich ja doch immer bei der Stange geblieben, über alle Längen und sinnentleerten Dialoge hinweg. Das mag daran gelegen haben, dass da dann doch so ein Sprachwitz durchblitzte, den ich mochte, und dass hinter alldem das Wissen stand, dass man die Schilderung einer amerikanischen Durchschnittsfamilie um die Jahrtausendwende vor sich hat, die nicht allzu weit hergeholt zu sein scheint.
Ob man dieses Buch jetzt allerdings unbedingt gelesen haben muss – ich weiß es nicht. Franzen macht es einem recht schwer, dabei zu bleiben, vor allem durch die tatsächlich sehr langatmigen Schilderungen und die samt und sonders unsympathischen Charaktere. Verlorene Lebenszeit wars nicht, aber wirklich was gewonnen hab ich dabei auch nicht.
Der futurologische Kongress – Stanisław Lem
1. Dezember 2014 § 3 Kommentare
Ich wage mich selten genug ins Sci-Fi-Genre vor – wobei ich bei diesem Buch gar nicht mal so sicher bin, ob man es überhaupt in diese Richtung kategorisieren sollte. Wie dem auch sei: Fantastisches und irgendwie Irreales finden bei mir eher selten den Platz ins Regal. Und des Öfteren – wie auch nach dem Lesen dieses Buches – denke ich mir, dass sich das mal zumindest ein wenig ändern dürfte.
Gemeinsam mit dem Ich-Erzähler Ijon Tichy – seines Zeichens Weltraumfahrer – nehmen wir am namensgebenden Futurologischen Kongress teil. Dieser findet in Costricana statt, das der Beschreibung nach am ehesten einem mittelamerikanischen Polizeistaat gleicht. Tichy weiß auf seine humorige, vielleicht etwas naive Art von allerlei eigenartigen Vorkommnissen zu berichten. Seien es die seltsam anmutenden Parallelveranstaltungen im großen Tagungshotel, seien es die Schutzausrüstung in seinem Zimmer oder die Kämpfe, die irgendwo draußen zwischen der Regierung und verfeindeten Kräften toben. Auch der Kongress selbst ist nicht so, wie wir ihn uns vorstellen: Zu Beginn werden umfangreiche Tagungsunterlagen ausgegeben und die einzelnen Redner verweisen nur noch auf Seiten- und Zeilenzahlen, um ihre Meinungen zu unterstreichen.
Doch schnell werden die Kämpfe heftiger, das Hotel wird bombardiert und Tichy ist gezwungen, mit einigen anderen Teilnehmern Zuflucht in der Kanalisation unter dem Hotel zu suchen. Doch nicht nur herkömmliche Munition wird verwendet – die Regierung wirft so gegannte Bemben ab, die statt Sprengstoff bestimmte psychoaktive Substanzen enthalten. Wenn Lebewesen damit in Berührung kommen, sind sie nicht mehr in der Lage, einander Gewalt anzutun, sie werden im Gegenteil selbstlos und harmoniebedürftig.
Trotz aller Schutzmaßnahmen sind auch die Geflüchteten in der Kanalisation den Stoffen ausgesetzt und in der Folge durchlebt Tichy einige etwas abgedrehte Visionen, in denen er wahlweise durch die Luft fliegt oder zu ganz anderen Personen wird. Doch nach kurzer Zeit erwacht er wieder in den Eingeweiden des Hotels, bis er schließlich bei einem Angriff so schwer verletzt wird, dass für ihn in seinem alten Körper kaum eine Überlebenschance besteht. Es ist jedoch möglich, Menschen einzufrieren und in der Zukunft wieder auftauen – dann, wenn eine Heilung für die Krankheit oder die Verletzung gefunden worden ist. So wird Tichy mehrere Jahrzehnte später aufgetaut und ist tatsächlich auch wieder hergestellt. Er findet eine schöne und friedliche Welt vor, in der alle gut gelaunt zu sein scheinen. Doch nach und nach entdeckt Tichy, was dahintersteckt: Die Wirklichkeit wird verdeckt und vernebelt durch die zahlreichen Substanzen, die die Menschen zu sich nehmen und mit denen sie im Handumdrehen jede denkbare Stimmung erzeugen können. Das, was sie um sich herum wahrnehmen, ist also nichts anderes als eine Illusion. Doch kann man sich dann überhaupt noch auf irgendetwas verlassen?
Ein höchst spannendes Thema hat sich Lem als Hintergrund für diese Geschichte ausgedacht. Wenn euch diese Beschreibung an Matrix erinnert oder an solche Innovationen wie Oculus Rift, mit denen wir ebenfalls in virtuelle Umgebungen abtauchen können, liegt ihr nicht ganz falsch. Hier ist diese Entwicklung bereits um einiges weiter gedacht – und das bereits in den 1970er Jahren und verpackt in allerhand Sprach- und Aberwitz. Wer bereit ist, sich auch mal auf ein Experiment einzulassen, liegt mit diesem Buch auf keinen Fall verkehrt.